Überblick
Gegenwärtige Situation
Kokaingebrauch in der Schweizer Wohnbevölkerung
Obwohl Kokainderivate wie Crack oder Freebase nach ihrer Verbreitung in den USA auch auf dem Schweizer Markt aufgetaucht sind, scheint der Kokaingebrauch in Pulverform die mit Abstand meist verbreitete Anwendungsart in der Schweiz zu sein. Gemäss den Daten der für die Wohnbevölkerung ab 15 Jahren repräsentativen CoRolAR-Befragung (2016), gaben 4.2% der Befragten an, schon mindestens einmal in ihrem Leben Kokain genommen zu haben. Die Anteile sind aber deutlich geringer, wenn das Zeitfenster begrenzt wird (0.7% in den letzten 12 Monaten und 0.1% in den letzten 30 Tagen). Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung umfasst der Anteil der aktuell Gebrauchenden (letzte 12 Monate) ungefähr 50'200 Personen. Eine Unterschätzung dieser Prävalenzen ist allerdings wahrscheinlich, da ein sozial sanktioniertes Verhalten in telefonischen Befragungen verschwiegen werden kann.
Die Ergebnisse der CoRolAR-Befragung 2016 deuten darauf hin, dass die 20- bis 54-Jährigen häufiger Kokain genommen haben als andere Altersgruppen. Auch wenn die Fallzahlen einen Vergleich zwischen den Altersgruppen nur in beschränktem Ausmass zulassen, scheint die Lebenszeitprävalenz ihren Höhepunkt bei den 25- bis 34-Jährigen zu erreichen (8.4%), während die 12-Monatsprävalenz bei den 20- bis 24-Jährigen am höchsten ist (2.2%). Deutlich mehr Männer als Frauen berichteten über einen Kokaingebrauch im Laufe ihres Lebens (6.2% resp. 2.4%). Die Schülerbefragung HBSC 2018 lässt darauf schliessen, dass etwa 2% der 15-Jährigen in ihrem Leben bereits Kokain genommen haben. Allerdings ist es aufgrund geringer Fallzahlen nicht möglich, über mögliche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen zu befinden.
Die CoRolAR-Befragung 2016 zeigt zudem Unterschiede auf Ebene der Sprachregionen. Etwas mehr Personen der französisch- (5.0%) und der deutsch- (4.1%) gaben im Vergleich zur italienischsprachigen Schweiz (1.7%) einen zumindest einmaligen Kokaingebrauch in ihrem Leben an.
Konsumhäufigkeit
Bezüglich der Gebrauchshäufigkeit gab die Mehrheit der Personen mit aktuellem Kokaingebrauch (Gebrauch in den letzten 30 Tagen) einen punktuellen Gebrauch an (98.2% zwischen 1 und 3 Tagen). Wiederum müssen die Angaben wegen der geringen Fallzahlen als grobe Kennzahlen betrachtet werden. Der offenbar häufig gelegentliche Kokaingebrauch wird auch durch eine Studie der Abwässer mehrerer grosser Städte der Schweiz (Orth et al., 2014) bestätigt, die einen Anstieg der Kokainkonzentration in Proben während des Wochenendes zeigt.
Eine Schwelle für problematischen Kokaingebrauch ist aufgrund unterschiedlicher Wirkungen, die von der Art des Gebrauchs, der Menge und der Reinheit des verwendeten Produktes sowie von individuellen Unterschieden abhängt, schwer festzulegen. Trotzdem kann schon ein einmaliger Gebrauch als problematisch angesehen werden, da er kurzfristige Risiken birgt (gewalttätiges Verhalten, Reizbarkeit, Angstzustände, Panikattacken und Verfolgungswahn) und es zu unvorhergesehenen Vorkommnissen kommen kann (Herz-Kreislaufstörungen, Krämpfe, Koma), wobei das Risiko eines plötzlichen Todes nicht ausgeschlossen werden kann, insbesondere bei Überdosis (NIDA, 2010).
Entwicklung und Tendenzen
Die Ergebnisse der Schweizerischen Gesundheitsbefragung (SGB) für die Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren zeigen, dass der Gebrauch von Kokain in den letzten 12 Monaten zwischen 1992 und 2002 etwas abgenommen hat (von 0.5% auf 0.2%), seither aber zunimmt. 2017 lag er bei 0.9%. Auch wenn die Resultate nicht direkt vergleichbar sind, deutet auch die CoRolAR-Befragungen für die Gesamtbevölkerung ab 15 Jahren auf eine leichte Erhöhung der 12-Monatsprävalenz zwischen 2011 und 2016 hin (von 0.4% auf 0.7%).
Gebrauchstendenzen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Berücksichtigt man die Entwicklung der Lebenszeitprävalenz in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen, in welcher oft erste Erfahrungen mit Kokain erfolgen (vgl. Kapitel Einstiegsalter in den Gebrauch), kann zwischen 1992 und 1997 zunächst ein leichter Rückgang festgestellt werden, gefolgt von einem fortlaufenden Anstieg ab 2002. 2017 erreichte die Lebenszeitprävalenz 3.7%. Die CoRolAR-Befragungen von 2011 bis 2016 zeigen ähnliche Raten um 3% (vgl. Abbildung CoRolAR & SGB - Lebenszeitprävalenz des Kokaingebrauchs bei 15- bis 24-Jährigen (SGB 1992-2017; CoRolAR 2011-2016)).
SGB & CoRolAR - Lebenszeitprävalenz des Kokaingebrauchs bei 15- bis 24-Jährigen (SGB 1992-2017; CoRolAR 2011-2016)
Anmerkungen: | SGB (1992-2017): "Haben Sie schon Kokain genommen?" CoRolAR (2011-2016): "Haben Sie schon einmal Kokain genommen?" |
Quelle: | Eigene Berechnung auf Basis der Datenbank CoRolAR 2011-2016; Notari et al. (2009, 2014); Auskunft BFS zu SGB 2017 |
Entwicklung der Verzeigungen wegen Verstössen gegen das BetmG
Bei der Anzahl der Verzeigungen wegen Kokaingebrauchs kann ebenfalls ein Anstieg bis Mitte der 90er Jahre, anschliessend eine Stabilisierung und ab 2005 eine Abnahme verzeichneten werden (1990: 4'041, Höchstwert 1997: 10'475, 2015: 7'429). Seit 2015 nimmt die Anzahl der Verzeigungen jedoch wieder zu. Aufgrund zahlreicher Einflussfaktoren auf die Anzahl der Verzeigungen (strukturell und an den Markt gebunden), muss die jährliche Anzahl der Verzeigungen mit Vorsicht interpretiert werden.
Vergleiche mit Nachbarländern
Gemäss den aktuellsten, von den Nachbarländern zur Verfügung stehenden Daten zum Kokaingebrauch, berichten drei der vier angrenzenden Länder über eine tendenzielle Zunahme der Lebenszeitprävalenz bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen: Deutschland von 4.0% auf 5.4% zwischen 2000 und 2015; Frankreich von 1.9% auf 7.9% zwischen 2000 und 2017; Österreich von 2.8% auf 3.1% zwischen 2004 und 2015. Nur in Italien blieb sie seit 2005 relativ stabil und hat 2017 sogar abgenommen. In der Schweiz kann gemäss den SGB-Daten eine fast konstante Zunahme der Lebenszeitprävalenz des Kokaingebrauchs bei 15- bis 39-Jährigen beobachtet werden (1992: 2.7%, 2012: 5.4%).
Indikatoren der Problemlast
Spezialisierter Behandlungsbereich
Die Behandlungseintritte wegen eines Hauptproblems mit Kokain bei den zwischen 2006 und 2017 kontinuierlich am Monitoringsystem act-info teilnehmenden Institutionen sind zwischen 2007 und 2012 zurückgegangen, und nehmen seither wieder deutlich zu. Seit 2017 liegen sie noch vor den Hauptproblemen mit Opioiden an Dritter Stelle (nach Alkohol und Cannabis).
Hospitalisierungen
Die Anzahl der Hospitalisierungen im Zusammenhang mit einem Haupt- oder sekundären Problem der Kokainabhängigkeit (gemäss ICD-10) hat sich zwischen 1999 und 2008 wenig verändert (1999: 30.6 Fälle auf 100'000 Einwohner, 2008: 35.4).
Mortalität
In den letzten 20 Jahren wurde in der Schweiz eine relativ geringe Anzahl direkt dem Kokaingebrauch zuzuschreibender Todesfälle registriert (in der Regel weniger als 10 Todesfälle pro Jahr und fast keine mehr seit 2006). Allerdings stehen sehr wahrscheinlich Änderungen in der Art, Todesursachen zu kodieren, mit dieser jüngeren Entwicklung im Zusammenhang (höherer Anteil dem multiplen Drogengebrauch zugeschrieben). Es wäre also voreilig, basierend auf diesen Angaben zu schliessen, dass sich die Situation seit 2006 tatsächlich verbessert hätte. Darüber hinaus ist die sichere Bestimmung einer kokainbezogenen Ursache bei Todesfällen nicht einfach, so dass generell von einer Unterschätzung ausgegangen werden kann.
Mit der Konsumart verbundene Risiken
Bezogen auf die mit der Art des Gebrauchs verbundenen Risiken kann bei Personen, die zwischen 2004 und 2017 wegen eines Hauptproblems mit Kokain behandelt wurden, ein deutlicher Rückgang von Injektionen beobachtet werden, auch wenn Injektionen im Vergleich zum Sniffen marginal sind (Monitoringsystem act-info). Dieser Rückgang wurde durch die NSE-Studie (NSE-Studie) zwischen 1996 und 2011 auch in niederschwelligen Einrichtungen belegt, wenngleich nicht zwischen Kokain- und Heroingebrauchenden unterschieden wurde.
Soziale Kosten
Die direkten sozialen Kosten durch Gebrauch von illegalen Drogen wurden für das Jahr 2000 auf 1.4 Milliarden Franken geschätzt und die indirekten Kosten auf 2.3 Milliarden Franken (Jeanrenaud et al., 2005). Die unterschiedlichen Substanzen und namentlich Kokain wurden allerdings nicht separat ausgewiesen. Der dem Kokaingebrauch zuzuschreibende Anteil steht aller Wahrscheinlichkeit nach an zweiter Stelle, hinter den Opioiden.
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